„Unterwegs“ mit Herrn Crauss einen Schritt in die moderne Lyrik wagen
Zum Abschluss der Unterrichtsreihe „Unterwegs sein – Lyrik von Barock bis zur Gegenwart“, besuchte ich mit meinem Deutschleistungskurs am 29.10.2022 eine Vorlesung des Autors Crauss. Im Unterricht hatten wir – unter Anleitung von Herrn Lüdecke – schon ausgiebig verschiedene Motive des Unterwegsseins erarbeitet und festgestellt, dass dieser Begriff vielfältige Assoziationen hervorruft. Auch innerhalb der Epochen unterscheidet sich dieser stark, was auf gesellschaftliche Zustände und technische Fortschritte zurückzuführen ist. Doch da mit dem Gedicht „Der Panther“ (geschrieben zwischen 1902 und 1903) unser Einblick in die Moderne endete, waren wir alle gespannt darauf, nun angelehnt an die Deklarierung der Unterrichtsreihe, auch aktuellere Lyrik auf uns wirken lassen zu dürfen.
Pünktlich um acht Uhr fünfzehn trafen wir uns mit zwei anderen Deutschkursen vor der Benrather Orangerie und wurden nach oben in eine Leseecke der Stadtbücherei geleitet. Hier befand sich schon Herr Crauss, der elegant gekleidet war und sich auf seine Lesung vorbereitete. Mir selbst war er aufgrund von Workshops in der Mittelstufe zwar schon bekannt, ihn jetzt aber einmal real anstatt nur virtuell zu erleben, war natürlich eine ganz andere Erfahrung. Während wir Jugendlichen uns noch auf die Zuschauerplätze verteilten, forderte Herr Crauss mehr Licht, um die besten Voraussetzungen für seinen Vortrag zu erhalten. Nachdem dies arrangiert war, begrüßte er uns freundlich. Anschließend erklärte er uns, dass wir in den kommenden anderthalb Stunden der Lesung von seiner ganz eigenen Art des Vortragens profitieren dürfen. So kündigte er an, zwischen den einzelnen Gedichten Raum für Gespräche mit ihm zu schaffen, die einerseits die Situation auflockern und andererseits unsere Aufnahmefähigkeit verbessern sollten.
Danach startete er direkt mit dem ersten seiner Gedichte und schaffte es durch seine betonte und laute Ausdrucksweise, die von Gestik und Mimik untermauert wurde, unsere Aufmerksamkeit zu erhalten. Mir persönlich zeigte er dabei noch einmal, was für ein „Werkzeug“ unsere Stimme sein kann. Auch durch seine, an die jeweiligen Situationen angepassten Bewegungen, erschuf er Spannung und Dynamik. Die an passender Stelle eingebetteten Gespräche, wurden dabei vor allem genutzt, um etwas darüber zu erfahren, wie ein Dichterleben in der aktuellen Gesellschaft aussieht. Wir erfuhren so beispielsweise, dass Herr Crauss selbst jahrelang Tagebuch schrieb und sich nun zu ihm inspirierenden Erlebnissen Notizen anfertigt, die er dann später in seinen Gedichten einbringen kann. Zudem erfuhren wir im Kontext der Lesung, dass er selbst gerne unterwegs ist und beruflich bedingt schon in Berlin, Paris und Wien war. Aber auch Themen, wie beispielsweise das Gendern in der Sprache, fanden ihren Platz in den Schüler*innenfragen.
Mir persönlich gefiel es sehr gut, dass wir Schüler*innen die angesprochenen Themen selbst entscheiden durften, da wir auf diese Weise alle motiviert blieben. Ebenso war ich davon angetan, dass wir während der Lesung einen Lückentext zu dem Gedicht „ein paar flüchtige, hingekritzelte“ erhielten, den wir nach eigenem Empfinden füllen durften. Unserer Fantasie war dabei keinerlei Grenze gesetzt, da Herr Crauss sogar ausdrücklich auch „komische“ Ergebnisse akzeptierte. Nachher trauten sich dann sogar ein paar Schüler*innen, ihre niedergeschriebenen Ideen vorzutragen, was die kreative Atmosphäre verstärkte.
Am Ende der Vorlesung entließ uns Herr Crauss mit den Worten „Poesie kann viel. Poesie ist mächtig. Poetisiert euch!“, was unsere gewonnenen Eindrücke ganz gut wiedergab. Sicherlich werden wir zwar nicht alle Gedichte schreiben, doch ich glaube, dass zumindest bei einigen von uns eine Ehrfurcht vor dem Handwerk eines Autors entstanden ist. Hierbei gilt neben Herrn Crauss aber auch Herrn García-Martínez und Frau Miller von der Stadtbücherei ein großer Dank, weil sie diese Veranstaltung so wunderbar für uns organisiert und möglich gemacht haben.
Nele Helling, Q1